The Death of Graffiti

Idee und Wirklichkeit

Sandra Rummler

Die permanente Nachahmung der immer gleichen Buchstaben (vor allen Dingen in dieser ständigen Wiederholung) ist in der Tat oft ziemlich ermüdend. Da hoffe ich einfach, dass noch mehr Menschen die Sprühdose und den öffentlichen Raum als Ausdrucksmittel für sich entdecken, damit die Vielfalt größer wird. Was meines Erachtens auch schon (im Vergleich zu vor 25 Jahren) geschehen ist. Anfang/Mitte der 90er Jahre, als sich die aktiven Berliner Sprüher noch am Corner Bahnhof Friedrichstraße trafen, war es nur möglich dazuzugehören, wenn man die richtige Kleidung hatte, natürlich Hiphop hörte und/oder sonstwie cool war. Sogenannte Nerds oder Außenseiter waren da eher nicht willkommen. Weibliche Sprüher gab es ebenfalls nur eine Handvoll und die hatten meistens nur Zugang, wenn sie entweder dekorativ vom Aussehen her waren oder die Schwester bzw. Freundin von jemandem, aber selten bis nie wurden sie als gleichwertige Kameraden angesehen. Diese Situation hat sich auch bis heute nicht wirklich wesentlich verändert. Ausnahmen bestätigen die Regel. Dennoch erlebe ich, dass die Spannbreite der Sprüher deutlich größer geworden ist. Durch das Internet können sich Leute mit ähnlicher Haltung, frei von sozialen Zusammenhängen (z.B. Schule), austauschen und treffen. Heute ist man als Graffitist nicht mehr an einen bestimmten Musikgeschmack oder Kleidungsstil gebunden, sondern es kommen Menschen mit sehr verschiedenen Hintergründen zusammen, die öffentliche Wände belegen. Trotzdem wird auf Abweichungen vom üblichen Stilbrei oft noch mit vielen Ressentiments reagiert. Als kleine Erinnerung: die unsägliche Debatte über den sogenannten Antistyle bei Streetfiles und in andern Foren. Da hat sich die sehr eingeschränkte Haltung vieler Graffleute nochmal sehr deutlich gezeigt. Bei manchen hatte man schon fast das Gefühl, sie seien die Aufseher vom Graffitizwangslager, in dem alle das Gleiche tun müssen und jede Abweichung von Ihnen bestraft wird. Aber: Es gab Diskussionen, Gespräche und einige sind dadurch auch (bezüglich ihrer eigenen Haltung) ins Nachdenken gekommen.

Fraglich und fast sektenhaft ist ebenfalls die grundsätzliche Heiligsprechung aller Oldschooler. Wenn sich jemand erdreistet über ein Piece rüberzugehen, was jemand beispielsweise vor 10 Jahren gemalt hat, dann geht das große Weinen los. Mit anderen Worten: Ich scheiße auf das Eigentum anderer Leute, doch sobald jemand „mein“ Eigentum (Bild) nicht achtet, verhalte ich mich genau wie die Leute, die ich vorher für Ihre Gartenzwergmentalität verachtet habe.

Wenn du, Oliver, Graffiti allerdings als unpolitisch, wettbewerbsorientiert, ich-bezogen und der Konsumwelt in nichts nachstehend entlarvst, setzt diese Entlarvung eine vorangegangene Verschleierung dieser Tatsachen voraus. In meiner Wahrnehmung hat diese Verschleierung nicht stattgefunden. Ich kenne keine Graffiti-Pamphlete oder Manifeste, die so etwas aussagen. Es ging von Anfang an nur um FAME, um mich selbst, meinen Namen und Wettbewerb (Battle). Gerade diese egomane Klarheit fand ich lange befreiend. Das sich diese Tatsache für mich irgendwann als ziemlich banal und erschöpfend herausstellte, ist eine andere Geschichte.

Klar ist Graffiti ein Spiegel unserer Gesellschaft und keine heroische Parallelwelt, in der mutige Herzen mit der Dose in der Hand gegen die Ungerechtigkeiten der Welt kämpfen. Was tatsächlich schade ist.

In deinem TDOG-Text steht, dass nur von wenigen Einzelnen wirkliche Erneuerungen ausgehen. Aber ist das nicht auch in allen anderen Bereichen unseres menschlichen Daseins so?

Graffiti hat nie gelebt? Oliver: Ich würde eher sagen, dass vielleicht DEINE Idee und Vorstellung, die du von Graffiti bzw. einigen Protagonisten hattest, nie gelebt hat. Jedenfalls nicht als große Bewegung, sondern wahrscheinlich nur durch dich selbst. Immerhin.

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