The Death of Graffiti

Pustekuchen für den Hund

ID33

one is never just 'a writer', or 'an observer', or 'a young person', or 'an outraged citizen', so much as locales of potential whose subjectivities are made and remade according to the (social) roles ascribed to them as well as the desire which invests various networks (familial, residential, pedagogical, cultural and so on).
Halsey & Young; S. 278)1

„The Death Of Graffiti“ von O.K. eine ganze Publikation zu widmen, halte ich für fragwürdig. TDOG, so werden ab jetzt Text und Autor in einem Abwasch genannt, wird dadurch eine Wichtigkeit und Relevanz eingeräumt, die ihm nicht gebührt. Dafür fehlt es ihm an Objektivität, Substanz und Scharfsinn. Der Verfasser ist nach 20 Jahren Graffitisten-Dasein der kreativen Mainstream-Graffiti-Attitüde und ihren Auswüchsen entfremdet und meint nun, im akademisch wirkenden Gewand, der gesamten Kultur intellektuell und eloquent in den Arsch treten zu müssen – von innen. Mir stinkt das. Und ich erkläre hiermit TDOG erst einmal zu Bullshit.

Mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit kritisiert sich TDOG an seiner gewünschten Zielgruppe vorbei. Mit der Behauptung aus dem Kerngehäuse unserer Kultur zu sprechen, jault es gekonnt von außen und noch dazu von oben herab. Meines Erachtens ist das auf diese Art und Weise schiefgelaufen. „Graffitisten“ sind keine Publizisten. Wäre das undifferenzierte Geknurre doch vielleicht lieber in einem wohlklingenden Sprechgesang verfasst worden: Nicke mit dem Beat und beweg dein Arsch! Graffiti ist tot – Yo, Bon Voyage! So fehlt leider der nötige Funk, um die Gespinste geschmeidig in die Hirne zu klatschen. Ja, was haben wir nicht gelechzt nach solcherlei Predigt-Brei! Und wer hätte es gedacht: Der Bote ist, „überspitzt formuliert“, ein Tee trinkender Hund. Ich spiele heute mal den getroffenen.

TDOG´s Rumgeheule ist dem Null-Toleranz-Geist gegenüber Graffiti gefährlich (?) nah. Tendenziell würde es sich wohl besser als Vortrag auf einem Anti-Graffiti-Kongress machen. Man möge doch einmal mit diesem Hintergedanken in die Schrift hineinlesen. Zugegeben, es wäre ein überraschender Vortrag!

Graffiti, ausschließlich im Sinne der wilden Buchstabenkeilerei, hätte also nie gelebt und sei schon immer tot gewesen. Nur „überspitzt formuliert“. Ja, ja „überspitzt“. Bin auch schon überspitz. Ich lege derlei Diagnosen auf die Goldwaage, weil ich solch eine beschissene Symbolik für völlig fehl am Platz halte! Immer diese überzogenen Todes- Erklärungen. Hip-Hop ist tot. Die Kunst ist tot. Gott ist tot. Der Hahn ist tot, er kann nicht mehr krähn. Dir, der Du dem Graff gestorben bist, erweist es sich als „tot“. „The death of my Graffiti“ würde sich daher als Titel der Grabrede besser eignen. Vielleicht noch mit dem Untertitel: von einem, der dem Writing starb und auszog, um aus der Entfremdung in persönlicher Abrechnung konsterniert Analyse zu betreiben.

Ist tot. Ist tot. Es ist noch nicht solange her, da fragte mein Sohn einmal, ob er auch in den Himmel kommt? „In den Himmel“. Wir haben keine andere Formulierung gefunden. Nicht, dass wir danach gesucht hätten. Ab wann muss man das gegenüber seinem Kind? Hier, wo wir leben. Im Himmel. Klingt religiös? Nicht so gemeint. Zumindest nicht von mir. Nicht mehr. Was weiß ich schon darüber. Außerdem: den Himmel gibt es nur im Glauben. „In den Himmel“. Ist halt irgendwann einmal so raus gerutscht. (Ausgerutscht). Es klingt wenigstens nichts so gruselig. Mein Sohn fragt: „Ist es, weil ich erst vier einhalb Jahre bin, dass ich noch nicht im Himmel bin?“ Und da steht man dann da und sagt „Ja“. Dabei zieht dir die Frage gerade den Boden unter den Füßen weg und du fällst in die leere Ungewissheit über das „Vorbei-sein“. Vorbei. Ein Teil des Daseins? Oder abgetrennt davon? Ist das was Gutes? Was Schlechtes? Einfach da. Einfach weg. Licht an. Licht aus. Sie liebt mich. Sie liebt mich nicht. Immer hin und her. Rundherum, das ist nicht schwer.

Vor ein paar Wochen erzählte mir eine Kollegin, sie hätte ihrer Mutter als Kleinkind stinksauer vorgeworfen, warum sie sie denn geboren hätte, wenn sie doch später wieder sterben würde. [...] Welch ein Glück hier aufgewachsen zu sein. Hier, wo wir leben. Zufall? Bestimmung? Natürlich ausgelesen? The Survival Of The Graffittest? Und plötzlich bellt es wieder: TDOG!

„Graffiti ist nicht tot, es hat nie gelebt“, kläffte es. Lass mich einen anderen „Ist“-Zustand anführen: Graffiti ist Borderline. Zwischen Art und Fart, zwischen Gang und Bang, Earn und Burn, zwischen mir... dir... uns... euch... (ahhh!) Hochverehrtes Publikum, bist du wirklich so dumm? Bist du wirklich so dumm? Bist du wirklich so dumm
An das Publikum, Kurt Tucholsky 1931 / ADVANCED CHEMISTRY 1993

Warte! Ich habe noch einen. Graffiti ist nicht „hat nie gelebt“ oder „tot“, sondern: Graffiti ist toy. TMTMT – too much too many toys. Unsere Kultur ist eine „Toy“-Kultur. Was könnte das bedeuten? „Toy“ ist ja eher negativ behaftet und beschreibt einen unerfahrenen und daher noch schlechten Writer; ein Stadium und Prozess, den jeder durchstehen und durchlaufen muss. Gleichzusetzen mit dem englischen „Greenhorn“. Neuling. Neueinsteiger. Anfänger. Im gewissen Sinne auch „Kleinkind“. Gemeinsamer Nenner: die Unerfahrenheit. Im Heranwachsen ist die Imitation, die Kopie, das Nachahmen das A und O. Aber wo genau hört das Imitieren von Stil auf? Wo fängt das Zitieren an? Ab wann gehört Zitieren zum Erwachsensein? Die Wege auf denen man keinen anderen Fußspuren mehr begegnet, scheinen rar. Für den einen bedeutet es tatsächlich in etwas Neues zu treten, so das traditionelles Gedankengut ins Wanken kommt – nicht nur in einem selbst, sondern auch in anderen – und man von Originalität im Werk sprechen möchte. Für den anderen bedeutet es einfach sich selbst treu, sprich authentisch zu sein. Wobei hier Authenzität nicht zwangsläufig zu Originalität im Werk führen muss.

Das Stadium der Nachahmung an allen Ecken und Kanten zu verlassen und seine eigene, vor allem wahrhaftige Art und Weise innerhalb des Style-Writings zu finden, sind Schritte oder Phasen, die für alle unterschiedliche Dimensionen haben und den Einzelnen nicht unbedingt im Style-Writing selbst halten müssen. Die Style-Writing-Kultur allein kann sich da auf lange Sicht nicht selbst befördern. Unsere Kultur ist auf die Offenheit des Einzelnen für Einflüsse von außen angewiesen. Dabei ist der Writer nicht nur der Writer und mehr als die Summe all seiner Namen und wie diese sich im Writing ausdrücken. Die Person hinter dem Writer muss bedacht werden und kann nicht nur am Writing allein gebrochen werden. Man muss sie im erweiterten Kontext (Gesellschaft) bedenken. Genauso wie die sogenannte Hip-Hop – Kultur mit ihren einzelnen Elementen beispielsweise in Beziehung zu den Schönen Künsten (frei nach Brockhaus-Enzyklopädie) steht. Derjenige, der es wagt sich wenigstens diesen erweiterten Kontexten zu öffnen, durch die Geschichten zu blättern und beginnt Zusammenhänge zu erkennen, wird die bisher geglaubte (künstlerische) Originalität seines Schaffens (und auch anderer) differenzierter beurteilen können. Mitunter wird er, wie oben angeschnitten, gar in anderen Feldern der Hohen Schönen (Zeitgenössischen) Künste aufgehen, das Style-Writing gänzlich hinter sich lassen oder neue Zwischenräume darin versuchen zu erforschen.

Daher kann man also in unserem Kulturkreis sehr wohl ein „Original“ darstellen, aber im größeren Zusammenhang ein Nichts. Man kann Legendenstatus in seinem eigenen Städtchen erlangen, aber außerhalb davon kennt einen keine Sau. Man kann sich auch jeden Tag als „King for a Day“ selbst zu Hofe tragen ohne jedoch zu bemerken, dass man von allen anderen als „Fool for a Lifetime“ beäugt wird; selbst ist man taub und blind, oder die anderen halt stumm. Hier ein „King“ und da ein „Toy“ (im Sinne von Narr). Ein Simultanz der Begriffe mit Rattenschwanz. Graffiti ist Potenz. Oh! Na nie? Me-Myself-and-I. Dazu bedarf es des Graffiti´s nicht. Some people hunger / For fame and fortune all their lives / Saddest fools, in paradise Thompson Twins – King For A Day (1985)... and some people hunger ID33 (2016)

TDOG besteht zum größten Teil aus einer Art belehrenden Herleitung wie sich die moderne Gesellschaft dem Wesen nach doch im Writing spiegelt. O.k.! Aber warum so oberflächlich? Wagt man sich etwa nicht weiter in das Haus der Spiegel hinein? Einfach mal den Kopf reinstecken und in die Tasten gehauen. Vielleicht noch ein bisschen an den Fingern gekaut und raus das Ding. Ich krieg eine Krise. „Fundamentalkritik“? TDOG selbst steht doch auf wackeligen Füßen. Warum eigentlich überhaupt noch mit solchem Gewinsel öffentlich hausieren gehen, wenn man genug vom Ganzen hat? Ich sage: Zu früh gebellt. Herr Ober, mehr Kräutertee für den Hund, bitte! Der Grad der Reflexion liegt im pompös Kleinkarierten. TDOG verkommt zur polarisierenden Propaganda; nicht inspirierend, sondern nervenaufreibend. Letzteres ist an sich ja nicht schlecht. Nur wird es zum Beispiel in meinem Fall heute nicht dazu führen eine ausführliche Autopsie TDOG´s durchzuführen. Und auch morgen nicht! Wir wollen sehen wie dieser Band sich in seiner Gänze macht. Darin versammeln sich eh nur diejenigen, die tendenziell in TDOG´s Ausnahme-Kategorie gehören und an TDOG inhaltlich eigentlich nichts Überraschendes oder Herausforderndes finden sollten.

Diese Kultur ist in erster Linie eine Entwicklungsstätte, in der Potential und Talent für die unterschiedlichsten Bereiche offenbart und entdeckt werden können. Derjenige, der sich darin, damit, dadurch wahrhaft entwickeln will und kann, ist auf äußere Einflüsse angewiesen bzw. muss eben offen dafür sein. In diesem Sinne darf man wohl auch sagen, dass sich mit Sicherheit das eine oder andere Talent selbst verheizt – oder verheizt wird – und viele Mitstreiter auf einem Niveau hängenbleiben, das nicht über die mentalen Grundstufen des Graffiti hinaus geht; sprich: man unter seinen Möglichkeiten bleibt oder diese gar nicht erst wahrnimmt. Man stachelt sich fortwährend auf demselben Niveau an und bleibt darin aufeinander hängen. Doch dass ein gewisser Teil von uns sein aggressives, gewaltbereites und respektloses Verhalten weiterhin auslebt und unsere Kultur es hier nicht schafft zu therapieren, sondern auch als Mittel zu solcherlei Zweck dienen kann, hat seine ewigen Jagdgründe in anderen Prärien. Der Writer ist kein Sozialarbeiter. Der ursprüngliche Gedanke um das Writing und generell die sogenannte Hip-Hop-Kultur sind ja der mehrdimensionale soziale Selbsthilfe-Dienst am marginalisierten Potential und Talent heranwachsender Menschen. Gewiss! Die Ausgangsbedingungen sind mit der globalen Ausbreitung der Kultur auch um ihr Gegenteil erweitert worden. Wie überall auf der Welt ist die Entwicklung des Einzelnen abhängig von den Möglichkeiten, die ihn umgeben. Wo ein Wille ist, ist nicht überall auch ein Weg. Wo ein Weg ist, ist nicht überall auch ein Wille. Und da sich die Probleme des Graffiti (gemäß TDOG Spiegelung der Gesellschaft und diverser Ismen) nicht durch Graffiti selbst lösen werden, brauchen wir also Prediger, die uns von oben herab und dennoch irgendwie „von innen“ in den Hals kacken. Prost Mahlzeit! Schön von allen Seiten zugeschissen.

Um die Jahrtausendwende kam ich mit dem Theater in Berührung. Selbstbestimmt lebte ich das Writer-Dasein schon eine ganz Weile und begegnete schließlich diesen zwei Damen vom Theater. Es kam zu einer Kollaboration: Bühnenbild für ein Kinderstück. Und da erschien ich nun mit meinem „fertigen Teil“ zu einem von vielen Treffen. „Fertig“, so dachte ich zumindest, ganz in „Piecing“-Mentalität. Zu meiner Überraschung wurde erstmal viel rumgequatscht. Wo was stimmt und wo nicht und warum. Watt? Es wurde in Frage gestellt, verworfen, angezweifelt. Hä? Nicht persönlich zu nehmen. Geht´s noch? Ich dachte, die spinnen. Was bilden die sich ein? Ich konnte ja durchaus Einigem zustimmen. Aber trotzdem! Fertig ist fertig! Ich begriff erst viel später. Die beiden bildeten sich nichts ein, sondern mich aus. Mein „Werk“ war nur ein Bestandteil eines größeren. Und jenes galt es zu formen. Diese Art der gemeinsamen Auseinandersetzung gegenüber dem gesamten „Piece“ hatte eine Qualität, die ich bis dahin nicht kannte. Gleichzeitig stellte ich fest, dass ich sehr wohl offen für solch einen etwas ausgedehnteren Schöpfungsprozess war. Um Teil davon zu sein, musste ich mich entsprechend zurücknehmen. Es wurde gesucht... geformt... und das Gespräch war dabei so wichtig. Es brachte soviel. Sich gemeinsam heran reden, heran denken. Auf Ideen kauen. Auch die Frustration solch eines Prozesses, wenn´s eben mal nicht flutscht und die Ideen gegen die Wand laufen und so gar nichts zusammen kommt. Suchen nach Essenz. Relevanz. Substanz. Der „richtige“ Ausdruck für just diese Situation.

Mit diesen und ähnlichen Erfahrungen wuchs mein Anspruch an das Writing und speziell die Entwicklung und Umsetzung von Ideen. Ich trat in einen Bereich des Schaffens hinein, den ich nicht mit Vielen teilen konnte und teilweise auch einfach für mich selbst behielt. Ich bin in dieser Kultur nur wenigen Personen begegnet, die Lust dazu hatten Style-Writing auf dem Wasser laufend anzugehen und dabei über ihren eigenen Schatten zu springen. Es ist auch nicht einfach. Gerade dann, wenn man nach wie vor nach Anerkennung dürstet und auch weiß auf welche Art und Weise man sie bekommt. Hierbei muss man sich eben immer wieder die Frage stellen, wenn man sein eigenes Talent erkennt, oder es von außen erkannt wird, inwiefern man innerhalb des Writings seine eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten ausschöpft? Und wie sehr man am Writing als Ausdruck und Gebiet festhalten muss, um sein Talent zu entfalten. (Korrektur: Graffiti ist Akt und Potenz)

Man möge Writing als Selbst-Betrug oder als Selbst-Findung ansehen. Generell möchte ich von Selbst-Bestimmung sprechen und dem Willen diese in größtmöglicher Freiheit und Selbst-Verständlichkeit auszuleben. Writing könnte als Weg bezeichnet werden, die Grenzen seines Rechts auf Selbstbestimmung auszuloten und der Notwendigkeit sich diesen Grenzen gegenüber bewusst zu verhalten; sprich im Verständnis davon, dass die Freiheit des Einzelnen dort endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Da das Graffiti als Begriff am Borderline-Syndrom leidet, trifft das auch auf die Grenzen zu, denen man als Writer im gesellschaftlichen Kontext gegenübersteht. Und je nachdem wie die Diagnose ausfällt, ist „Graffiti“ dann halt mal tot, lebendig oder gar nichts von beidem.

Dostojewski´s Idiot schreibt: Das Gesetz der Selbstzerstörung und das Gesetz der Selbsterhaltung sind in der Menschheit gleich stark. Der Writer (er-)lebt das. Er baut einerseits eine Beziehung zu seiner Umwelt und zur Gesellschaft auf und reißt sie gleichzeitig ein. Nach 20 Jahren müsste man von einem reflektierten Writer erwarten können, das Borderline des Graffiti erkannt zu haben und entsprechend differenzieren zu können. Und zwar, dass man in den Definitions- und Analyseversuchen mit Style-Writing einem Begriff gegenübersteht, der wie ein Waggon in entgegengesetzte Richtungen gezogen wird. Der Writer sitzt drin. Im Passagierwaggon und den Lokomotiven. Er zieht an sich selbst und ist dabei dennoch nicht allein, denn auch Aussenstehende reisen mit. Potential und Talent des Einzelnen werden dabei ebenso in verschiedene Richtungen gezogen, für manch einen gar in Stücke gerissen. Schmied seines eigenen Glücks – und auch Unglücks – ist man nie allein.

Der Wunsch die Writing-Kultur als Ganzes zu erfassen, mag vor allem von außen erstrebenswert sein. Es gelingt den wenigsten und kostet Zeit. Ein Beispiel besten Gelingens aus jüngster Zeit und gewissermaßen aus den eigenen Reihen ist Jacob Kimvall´s „THE G-WORD“ https://shop.dokument.org/books/b-graffiti-street-art/9789185639687/.

Sogenanntes „Graffiti“ ist, auch schon als bloße Buchstaben-Malerei, durch die unterschiedlichen Ansätze und Herangehensweisen ihrer Protagonisten, bereits dermaßen breit gefächert, dass es mir schleierhaft ist, wie man nach behaupteten 20 Jahren als Writer zu solch einer undifferenzierten und klischeehaften Darstellung des „Graffitisten“ kommen kann. Das Style-Writing und seine Kultur auf TDOG-Art und Weise zu reflektieren und zu kritisieren, also zum Beispiel mit Begriffen wie „ganzheitlicher Ästhethik“ anzugehen, ist wie eine Steilvorlage für ein Verharren im Diss. Einmal „Easy hate to go“, bitte! Wie kann man denn davon ausgehen, dass der Reflexionsgrad unserer Kultur, etwa dem der Hohen Schönen (Zeitgenössischen) Künste entsprechen würde oder gar müsse. Dies korrespondiert doch nur in geringem Maße mit ihrem Wesen! Hier bewegen wir uns noch immer im Aufbau. Wobei es eigentlich auch nur darum geht die Schnittstellen wahrzunehmen. Wie dann jeder einzelne andocken kann und will, ist wieder was anderes. Ja, meine Güte. Muss man das wirklich erklären? Ruhig Brauner! Sitz! Ich hasse solche Schriften! Man holt sich genau das aus der Kultur, was man für sein polemisches Pamphlet braucht, schreibt sich da in Gedankengänge und Verallgemeinerungen, erstellt Zusammenhänge, die in Ihrer Rhetorik kurzlebig Sinn zu ergeben scheinen, aber der Realität nicht entsprechen können, weil diese nun mal komplexer ist. Alles bleibt schwammig und unscharf. Schlammige Matschepampe. Wer mit Dreck wirft, verliert an Boden! TDOG hat sich da bei Vollmond einen Wolf geschrieben. Rotkäppchen, wo sind die Wackersteine? Die Verwendung eines Adjektivs wie „faschistoid“ hat für mich nichts mit „scharfem Ton“ zu tun. Da hat man eher ganz glatt danebengegriffen. Oder „Totalitarismus“. Alter! Sowas braucht dann doch mal ein bisschen mehr Platz, um erfolgreich einen Sinn zu ergeben.

Ich sehe den Writer in alldem in erster Linie als Dilettanten. Zugegeben, nicht zwangsläufig genial. (Falls notwendig, möge man „Dilettant“ nachschlagen, um mich hier nicht misszuverstehen, denn es ist nicht abwertend gemeint.). Zusätzlich würde ich den Begriff des Autodidakten ins Spiel bringen. Bezüglich der mehrschichtigen Buchstaben- und Namenswilderei im urbanen Raum verwende ich auch gern das Bild einer Schule. Graffiti als Zustand ist quasi eine permamente Schulhofpause, in der man mit seinem Namen in den gewünschten urbanen Situationen hausieren geht. Ja sicher, vielen dient die „Große Pause“ als „Große Sause“. Benommen, bestäubt, betäubt, zerstreut. So viele bekannte Idioten kacken über unbekannte Idioten ab, die jeden Pups ins Netz furzen und nach „Likes“ von Stinknasen lechzen, die dran riechen. Zweifelsohne führt die Leichtigkeit des sozial-medialen Seins auch in der Dokumentierung und Archivierung des Graffiti zu viel Leermaterial. Disziplin ist geboten und ein Wille zu ernsthafter Selbstreflexion, welche letztlich zur Enttarnung der „Me-Myself & I“-Fata Morgana führen kann. Und dann tappt man vielleicht so langsam in den Bereich hinein, indem es mehr Fragen als Antworten gibt, dort wo „Unwissenheit“ auf Erfahrenheit beruht, und man erkennt wie relativ die eigene Größe und damit auch das eigene Schaffen ist.

Aber wie kommt man zur Besinnung? Durch Krieg, Kritik und Krikelkrakel? Mit Sicherheit nicht durch das kontraproduktive Gebell von Tee trinkenden Hunden. Ich möchte Dich an dieser Stelle auch einfach mal darum bitten, dass Du, der Du vielleicht der nächste Rüde bist, der gerade knurrend über seiner Fundamental-Kritik brütet, guter Dinge Weile sein lässt und nicht übereifrig eilig ein Shit-stück verfasst, dass hauptsächlich Deinen verbitterten Argwohn zum Ausdruck bringt. Du magst vielleicht einen Diskussionsband initiieren mit der Hoffnung auf „inhaltliche Auseinandersetzung“... aber worüber eigentlich?

Die Tage dachte ich mir so, dass es TDOG vielleicht gar nicht so explizit um Graffiti geht. Hinter dem Kläffen könnte sich in minimalen Ansätzen ebenso eine Gesellschaftskritik verbergen, welche sich auf absurde Art und Weise als „Fundamentalkritik“ an der Style-Writing Kultur zu entpuppen beginnt. TDOG´s Gedankengänge wären damit nur ein Teil einer noch unbekannten und umfangreicheren Aufzeichnung; welche vielleicht aber nie festgehalten werden wird.

Mein Sohn fragt seine Mutter: „War dir eigentlich langweilig und warst du traurig als ich noch nicht da war?“

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