The Death of Graffiti

The Death of „The Death of Graffiti“

Oliver Kuhnert

Die erste TDOG-Fassung war mehr als dreimal so lang wie die jetzige. Sie war persönlicher gehalten und noch schärfer im Ton. Zur Verdeutlichung meiner Position enthielt die Urfassung auch diverse Rezensionen (über „Déclenchés“, „Art Inconsequence“, „The Subconscious Art of Graffiti Removal“, „In erster Linie Abstraktion“ und „Kool Killer“) sowie einige recht vage formulierte kunsttheoretische Konsequenzen.

Ich begann mit der Niederschrift unmittelbar nach einer New-York-Reise. So wurde der mythische Ursprungsort des Stylewritings für mich zum Totentempel. Der Kreis schloss sich, Anfang und Ende griffen ineinander. Daher auch die Anspielung auf den Fotoband „the birth of graffiti“ von Jon Naar. Ich hatte vor, meinem Text ebenfalls Fotos hinzuzufügen, allerdings von New Yorker Buffs – einerseits als Sinnbild des Todes von Graffiti, andererseits als Sinnbild der Wiedergeburt in Form einer anderen Kunst.

Die Idee, Repliken in Auftrag zu geben und einen Diskursband herauszubringen, entstand relativ spät. Zwischenzeitlich wurde noch erwogen, eine auf das Wesentliche reduzierte TDOG-Fassung in der Backjumps-Jubiläumsausgabe zu veröffentlichen. Es kam zu einer hitzigen Diskussion unter den Herausgebern. Man ließ mir eine schriftliche Zusammenfassung davon zukommen, verbunden mit gewissen Auflagen. Einerseits enttäuscht und durchaus unwillig, die Auflagen zu erfüllen – der Diskurs wäre sonst schon vor der Veröffentlichung des Textes verzerrt worden –, fühlte ich mich andererseits darin bestärkt, den Text zu veröffentlichen. Die heftigen Reaktionen haben gezeigt, dass ich einen Nerv getroffen und einen Diskussionsbedarf zutage gefördert habe. Daher wollte ich TDOG den Befindlichkeiten privilegierter Entscheider entziehen und die Diskussion aus verschlossenen Redaktionsräumen in die Öffentlichkeit tragen. Es sollte keine Zensur, sondern einen offenen Schlagabtausch der Argumente geben. So kam ich auf die Idee, all jenen ein Forum zu bieten, die sich kritisch, aber sachlich und konstruktiv, mit TDOG auseinandersetzen wollten. Was einst als eine Art von Abschlussbericht geplant war, sollte nun der Ausgangspunkt eines Diskurses sein, geführt von reflektierten Szeneangehörigen und fachkundigen Außenstehenden. Ich überarbeitete die Backjumps-Fassung geringfügig, behielt aber die Komprimierung der Thesen und Argumente sowie die Tilgung persönlicher Aspekte bei bzw. verstärkte all das noch.

Der Titel „The Death of Graffiti“ ist natürlich nicht wörtlich gemeint. Ich erkläre keineswegs eine globale Bewegung für tot, sondern lediglich gewisse Vorurteile und Selbstzuschreibungen der Graffitiszene. Auch mein persönlicher Abschied schwingt in der Todesformel mit. Dabei steht für mich jedoch nicht der Abschied selbst im Vordergrund, sondern die kritische Analyse. Insofern wundert es mich, dass einige Autoren den Titel als pauschale Grundthese meines Textes betrachten, die es scheinbar überflüssig macht, näher auf die einzelnen Befunde einzugehen. Inzwischen erscheint mir der Titel aber etwas überpointiert. Jedenfalls hat er eine gründliche und differenzierte Auseinandersetzung mit meinen Thesen und Argumenten nicht gefördert, sondern wurde eher zum Reizwort.

Ich hatte hohe Erwartungen an die Diskursteilnehmer. Ich erwartete, dass sie sich auf ihr Gegenüber, also den Text, einlassen und sich ernsthaft und gründlich mit ihm auseinandersetzen, anstatt mehr oder weniger ansatzlos eigene, schon vorher feststehende Positionen darzulegen, seien sie eher diffus oder konkret. Ich erwartete darüber hinaus, dass die Diskursteilnehmer zwar kritisch sind, aber sachlich bleiben und differenziert sowie begründet vorgehen. Dies alles vermisse ich in vielen TDOG-Rezensionen. Insofern entspricht der vorliegende Band nicht den Vorstellungen, die ich von einem Diskursheft habe. Damit will ich nicht behaupten, die hier versammelten Texte hätten keinerlei gedanklichen oder sonstigen Mehrwert. Ich will nur sagen, dass ich persönlich einen anderen Anspruch hatte und daher vom Ergebnis enttäuscht bin. Sicherlich mag der bisweilen polemische Duktus von TDOG nicht-diskursive Reaktionen provozieren. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass der analytisch-sachliche Kern meines Textes mehr berücksichtigt wird, und zwar sowohl von akademischer als auch von nicht-akademischer Seite. „Nichts erwarten oder nichts zusammen machen“, so werde ich von einem der Autoren, völlig aus dem Kontext gerissen, zitiert. In Bezug auf den TDOG-„Diskurs“ hat der Satz jedoch eine gewisse Berechtigung. Ich wollte eine substanzielle und produktive Debatte entfachen. Dies ist mir leider nur sehr bedingt gelungen. Immerhin stellt das Buch ein authentisches Dokument dar. Alle eingereichten Repliken wurden unzensiert abgedruckt. Möge sich also der Leser ein eigenes Urteil bilden.

Im Übrigen gab es keine Schlüsselerlebnisse, die mich haben abtrünnig werden lassen von der Graffitiszene und ihren Erzeugnissen. Es war keine plötzliche Bekehrung, kein böses Erwachen, kein schmerzhafter Entzug. Es war eher das unaufhörliche Wachsen einer ohnehin kritischen Distanz, die sich seit je in einem gewissen Nischendasein ausdrückte. Die endgültige Lossagung war von Anfang an im eigenen Handeln angelegt und wurde lediglich durch den Gedankenaustausch mit einem Freund von Hidden Indexes forciert. Insofern spricht auch keine Verbitterung und keine enttäuschte Erwartung aus TDOG, wie mir verschiedentlich unterstellt wird. Psychologisierende TDOG-Deutungen, also vermeintliche Rückschlüsse auf mich als Person greifen zu kurz und gehen ins Leere. Sie sagen eher etwas über den Rezensenten aus als über mich. Genauso wie diffamierende und anderweitig emotional gefärbte Äußerungen. Trotz der Brachialrhetorik, die TDOG über weite Strecken kennzeichnet, stehen, wie gesagt, die analytisch-sachlichen Befunde im Vordergrund. Um mit Slavoj Žižek zu sprechen: „Wir müssen wieder lernen, hart zu argumentieren – auf die Gefahr hin, Menschen weh zu tun. Ihre Betroffenheit, ihr Schmerz ist kein Maßstab für die Wahrheit. Und an ihr sollten wir uns trotz allem orientieren.“

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