The Death of Graffiti

Writing als Begriff
– oder – Es ist was es ist und es ist nicht was es nicht ist

BROM

Zu Beginn möchte ich sagen, dass sich meine hier angestellten Überlegungen nur auf Buchstaben-Graffiti, das sogenannte „Writing“ beziehen. Graffiti in seiner Gesamtheit, also als „Art sich zu verhalten“ und alle denkbaren Spuren dieser Verhaltensweisen, müssten, wie ich glaube, an anderer Stelle und deutlich ausführlicher besprochen werden. Ich lege hier mein Augenmerk nur auf die formalen Aspekte des Writings. Soziologische Ansätze werden daher bestenfalls genannt, nicht aber erörtert werden, obgleich diese nach meiner Meinung in der Entstehung der Graffitikultur, somit auch der des Writings, in ihrem ganzen Wesen und in der Entwicklung ihrer Formsprache eine, wenn nicht DIE zentrale Rolle spielen. Im folgenden Text soll es mir also um die bestehenden formalen Aspekte des Writings, deren Begrenzungen und die Möglichkeiten der Veränderbarkeit in und an ihnen gehen.

Wenn im Bezug aufs Writing die Frage gestellt wird, ob es in seiner Formsprache zu unbeweglich und zu wenig wandelbar ist, was einige Stimmen bemängeln, so würde ich wohl zunächst gegen eine solche Kritik sprechen. Ich glaube es ist in der Natur des Writings, wie in der aller definierten Begriffe, bestimmten formalen Beschränkungen zu unterliegen, welche sie regulieren und kennzeichnen. Die Bewegung in einem so entstehenden Rahmen kann sich jedoch so mannigfaltig gestalten, dass dieser Rahmen nicht als beschränkend sondern vielmehr als form- ja identitätsstiftend begriffen werden kann. Ich wüsste nicht, warum ein individueller Ausdruck den Rahmen, in dem er sich entfaltet, sprengen oder ihn ganz und gar färben muss. Und ich wüsste auch nicht, wie das vonstattengehen sollte. Und warum gerade im Writing? So erwarte ich ja auch nicht, dass zum Beispiel beim Hundertmeterlauf sämtliche Teilnehmer eine eigene Art des ‚Silly-Walk‘ à la ‚Monty Python‘ vorstellen, 130 Meter mit dem Rad fahren oder durchs Ziel schwimmen. Das Graffitiwriting ist wie der Hundertmeterlauf ein recht klar definierter Begriff, wenn auch in seiner Bandbreite ungleich größer. Es handelt sich, wenn man so will um Disziplinen innerhalb größerer Felder, im eben genannten Fall, in denen des Sports und dem der bildnerischen Gestaltung. Dabei gibt es im Writing selbst wiederum verschiedene formale ‚Disziplinen‘ wie ‚Bombing, Tagging, Throw-up, Wildstyle‘ und etliche wilde Mischformen und sicher wüsste ein Laufkundiger Vergleichbares aus seinem Sport zu nennen. Aber warum stelle ich diesen Vergleich an? – Es geht mir darum die Idee eines definierten Begriffs von ‚Writing‘ aufs Tapet zu bringen. Geht man nämlich davon aus, dass Writing als solch ein definierter Begriff existiert, was ich tue, so wird klar, dass dieser Begriff nur in einem definieren, abgesteckten Feld als eben dieser Begriff existieren kann. Eine Gabel ohne die Eigenschaften, die ihr als Begriff zugesprochen werden, ist keine Gabel und ein Writing das nicht bestimmten formalen Regeln folgt, ist eben kein Writing. Es geht also darum, sich in einem festgelegten Bereich in einer bestimmten Weise zu verhalten, zu vergleichen und gegebenenfalls auch sich zu messen. Die wohl grundlegendste Kennzeichnung und somit auch Beschränkung, des Writings besteht darin, dass Buchstaben das Motiv des Dargestellten bestimmen bzw. es bilden. Mit diesem Ausgangsmaterial gilt es umzugehen. Die Gemeinsamkeiten, Vorgaben und Grenzen sind es, die das Writing definieren und somit in sich existent werden lassen, die es neben anderen gestalterischen Feldern freistellen und es zum Begriff formen. Insofern sind die Beschränkungen für eine Möglichkeit von Graffiti zunächst wichtiger, weil grundlegend, als die in diesen Beschränkungen möglichen Freiheiten. Wenn sich bestimmte gestalterische und auch soziologische Muster so kontinuierlich und spezifisch wiederholen, dass es zur Herausformung und Benennung eines Phänomens kommt, der Entstehung eines Begriffs, der eben hier, in diesem Fall, Graffiti ist, dann ist es doch nur recht und billig, diese identitätsstiftenden Merkmale zu kultivieren und zu rezipieren. Der Begriff ist dabei nicht heilig und Graffiti selbst ist es ganz sicher auch nicht. Aber der Begriff begrenzt sich selbst, bestätigt sich dadurch, und kann in der Überschreitung seiner definitorischen Grenzen zwar von außen betrachtet und mitdefiniert, aber dann eben nicht mehr bespielt werden – „You can't have your cake and keep it“. So geschieht und geschah es des Öfteren, dass sich Graffitiwriter so weit in die Abstraktion der „klassischen“ Writing-Formsprachen vertieft haben, dass sie letztendlich zwar teils sehr gelungene Ergebnisse in Form von Bildern schufen, sie mit der ‚Befreiung‘ von konservativen Formen aber auch gleichsam den Begriff des Writings verließen. Das ist gut und wichtig! Aber es entsteht etwas, das kein Writing ist. Es ist eben was es ist und es ist nicht was es nicht ist. Und das liegt klar auf der Hand.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Begriff des Writings zu betreten und zu bespielen. Ich selbst gehörte eher dem „freiem Typus“ an, der die Form des Writing lernen mußte, weil er ins ‚System Writing‘ hinein wollte. Ich war schon immer bildnerisch tätig, vor und außerhalb einer Auseinandersetzung mit Writing. Aber ich wollte die Vergleichbarkeit, den Austausch – die Competition! So glaube ich sagen zu können, dass ich mich dem Rahmen und den Gepflogenheiten des ‚Writings‘ untergeordnet und mich ihnen angepasst habe, um Teil dieser Welt zu sein in der ich dann wiederum all das von außen Mitgebrachte entfalten und anwenden konnte. Ich kenne aber auch den gegensätzlichen Ansatz bestimmter Writer, die ihre ersten Schritte hin zum kreativen Arbeiten und Gestalten über die klare Form der Schrift im Graffitiwriting gegangen sind und dann aus dieser Form heraus ein völlig freies Schaffen entwickelt haben, das sich letztlich nicht selten ganz aus der Formwelt des Writings und der Buchstaben gelöst hat. Wie auch immer die Writer sich dem Begriff und damit den Konditionen des Writings auch genähert haben, klar ist, dass ein Handeln im Writing nur innerhalb dieser Konditionen stattfinden kann. Es ist also nicht notwendig Writing zu machen. Es ist aber notwendig es auf eine bestimmte Weise zu tun damit es Writing sein kann, wenn es denn getan wird. So gesehen gibt es für mich hier klare formale Vorgaben. Diese empfinde ich aber nicht als beengend. Im Gegenteil glaube ich, dass dieser klar gesetzte Rahmen eine intensive und tiefgründige Auseinandersetzung anregen kann, die im besten Fall wirklich gute Ergebnisse hervorbringt. Und an diesem Punkt kommt nun das Individuelle zum Tragen, dass ich zu Beginn dieses Textes etwas zurückgestellt hatte. Genau jetzt zeigen sich nämlich die Qualität und das Alleinstellungsmerkmal des einzelnen Writers. Das Spielfeld ist gewählt und darin präsentiert nun er oder sie seine oder ihre Fähigkeiten und Ideen. Und vielleicht macht es an dieser Stelle auch Sinn noch einmal den Sport als Vergleichsbild zu bemühen. Den leichtfüßigen und verspielten Fußballspieler mit ‚brasilianischem Feuer und Witz‘ dem ‚klassischen englischen Kopfballbrecher‘ oder dem ‚deutschen Kurzpassstrategen‘ gegenüberzustellen. Obgleich das Spielfeld begrenzt und voller Regeln ist, sind der Spielverlauf und die individuelle Klasse und Färbung der Darsteller und ihrer Kunststücke unvorhersehbar und immer wieder neu. Und mag es ein Wettkampf sein oder ein gemeinsames Spiel, wenn man Glück hat macht das Ganze Sportlern und Publikum Freude. Und wenn nicht? – Dann hat man sich doch wenigstens bewegt.

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